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„Ich habe jetzt einen anderen Blick aufs Leben“

Comeback nach Krebserkrankung: Exakt 370 Tage musste Lewin Traulsen pausieren – nun hat der TuS Rotenhof ihn wieder (Bericht aus der Landeszeitung)

Dieses Glücksgefühl. Dieser Rausch. Dieser Moment, in dem die Hormone im Körper und Kopf verrückt spielen – er will sich nicht sofort einstellen. Erst später realisiert Lewin Traulsen, dass er wieder zurück ist. Zurück auf dem Fußballplatz und damit auch „zurück im Leben“, wie er es nennt.
Es ist der 4. November 2022. An diesem nasskalten Abend im Spätherbst stehen sich der TuS Rotenhof und der Osterrönfelder TSV im Lokalderby der Fußball-Landesliga Schleswig gegenüber. Auch ohne ihren Trainer Hermi Lausen, der wegen grippeähnlicher Symptome zu Hause geblieben ist, läuft es blendend für die Gastgeber. Schon lange vor dem Abpfiff ist die Partie entschieden. Die Stimmung unter den mehr als 400 Zuschauern könnte kaum besser sein – sofern sie es denn mit den Gastgebern halten. 
Ein 8:1 für den TuS leuchtet auf der Anzeigetafel, als das sportliche Geschehen in den Hintergrund rückt. Die 87. Minute hält für alle Anwesenden auf der Anlage an der Fockbeker Chaussee noch einen besonderen Augenblick parat. 

Innige Umarmung zur Einwechslung 
Drei Minuten vor Ende der regulären Spielzeit wird Lewin Traulsen für Mannschaftskapitän Felix Knuth eingewechselt. Erst eine innige Umarmung der beiden Freunde an der Seitenlinie, dann betritt Traulsen das Spielfeld – exakt 370 Tage nach seiner letzten Partie für den TuS Rotenhof. „In dem Augenblick konnte ich gar nicht richtig denken. Ich war so voller Adrenalin. Wie in einem Tunnel. Ich habe das alles gar nicht so richtig wahrgenommen.“ 
Lausen nennt die Rückkehr seines Spielers später „den wichtigsten Moment der Saison, viel größer als irgendeinen Titel. Das war die schönste Nachricht, seit ich hier Trainer bin. Schade, dass ich nicht dabei war, aber ich habe mich so für Lewin gefreut.“
Hinter Traulsen liegen schwierige Monate. Im März wird bei dem 24-Jährigen ein Hodgkin-Lymphom festgestellt. Das Hodgkin-Lymphom ist eine seltene Erkrankung, an der in Deutschland jährlich rund 2500 Menschen erkranken, häufig im jungen und mittleren Erwachsenenalter. Zwischen dem 10. und dem 35. Lebensjahr gehört diese Erkrankung zu den fünf häufigsten Krebsdiagnosen. 
Als einen „Schlag wie mit einer Keule“ bezeichnet Traulsen das Gespräch mit dem Arzt, der ihm die niederschmetternde Nachricht überbringt. Glück im Unglück. Die Heilungschancen liegen, wenn der Krebs früh genug erkannt wird, bei mehr als 90 Prozent. Das ist bei Traulsen der Fall. 
Der erste Weg nach dem Arzttermin führt ihn zu seiner Mutter, der zweite zu Rotenhofs Liga-Obmann Thorben Schäpe. „Wir haben uns erst mal ein Bier aufgemacht, um den Schock zu verdauen“, sagt Traulsen. Heute kann er darüber lachen. Wie auch über die Sache mit der Glatze. 
Die Operation Anfang April, bei der ihm der linke Halslymphknoten entfernt wird, verläuft ohne Komplikationen. Die anschließende Chemotherapie verträgt Traulsen gut, Nebenwirkungen bleiben allerdings nicht aus. Als er sich am Morgen des Vatertages nach dem Duschen abtrocknet, ist das Handtuch voller Haare. „Wir treffen uns am Vatertag immer mit vielen Kumpels zu einem Fußballturnier. Natürlich hatte ich zuerst ein bisschen Muffe dahinzugehen, weil ich auf dem Kopf schon ein bisschen komisch aussah. Und klar haben die Jungs auch so ihre Späße darüber gemacht.“ 
Aber seine Teamkollegen sind – neben Eltern, Bruder und Freundin – auch ein Anker in unruhiger See. Sie alle geben Traulsen Halt. Der Fußball ist sein großer Antrieb, wenngleich es Tage gibt, „an denen ich zu nichts Lust hatte, einfach nur im Bett bleiben und niemanden sehen wollte. Aber die Wochenenden waren immer das Highlight. Ich habe auf die Spieltage hingefiebert. Einfach nur bei den Jungs dabei sein zu können, hat mir Kraft gegeben.“ Am 12. September erhält er die Nachricht, auf die er so lange gewartet hat. Er gilt als genesen. Mittlerweile sind auch die Haare wieder nachgewachsen. „Als der Arzt mir gesagt hat, dass alles okay ist und ich wieder Sport machen darf, war ich einfach nur happy.“ 
Allerdings muss Traulsen früh erkennen, dass es ein sehr weiter Weg zurück in die Normalität ist. „Die Chemo zieht dir komplett den Stecker. Der Körper war völlig down. Das ist was ganz anderes, als wenn du wegen einer Verletzung ein paar Wochen pausierst.“ 
Der erste längere Spaziergang fühlt sich an wie ein Marathonlauf. Doch Traulsen verzweifelt nicht, wie er auch vorher nicht verzweifelt ist. „Ich mache mir zwar immer viele Gedanken, hatte aber während der ganzen Zeit nie irgendwelche Todesängste. Ich bin ein positiver Mensch. Und ich hatte immer dieses eine Ziel: So schnell wie möglich wieder Fußball zu spielen.“ 
Der Ehrgeiz ist groß, die Geduld mittlerweile auch. „Manchmal wollte ich zu viel. Früher hätte ich mich vielleicht geärgert, wenn ich nicht so konnte wie ich gerne wollte. Aber durch meine Krankheit habe ich einen anderen Blick auf das Leben bekommen, bin viel gelassener geworden, habe gelernt, was wirklich wichtig ist.“ 

Seit dem 4. November wieder Teil des Teams 
Auch von Rückschlägen lässt sich Traulsen nicht entmutigen. Und dann ist der Tag gekommen, an dem er wieder Teil des Teams ist – der 4. November. „Alleine, dass ich auf dem Spielberichtsbogen stand, war ja schon klasse, aber dass ich dann auch noch ein paar Minuten mitspielen durfte, hätte ich nie zu träumen gewagt. Ich muss mich bei den Jungs bedanken, dass sie so hoch geführt haben. Bei einem 1:1 wäre ich wohl nicht eingewechselt worden.“ 
Nicht nur bei Traulsen ist die Freude nach dem Abpfiff groß. „Erst der Sieg im Derby und dann noch die Rückkehr von Lewin – mehr geht nicht“, sagt Freund und Teamkollege Felix Knuth. „Das war ein perfekter Abend.“ 
Während seine Mitspieler anschließend in der Kabine ausgiebig feiern, muss sich Traulsen erst einmal setzen und sammeln, die vergangenen Minuten mental verarbeiten. Und dann endlich überkommt ihn doch noch dieses Glücksgefühl. Dieser Rausch. Dieser Moment, in dem die Hormone im Körper und Kopf verrückt spielen.

 

Amateurfußballer Lewin Traulsen feiert Comeback nach Krebserkrankung (Bericht aus den Kieler Nachrichten)

Rendsburg. Lewin Traulsen ist ein topfitter, aufstrebender Fußballer in der Landesliga Schleswig, als ihn im vergangenen Frühjahr die Schockdiagnose ereilt: Lymphdrüsenkrebs. Doch der 24-Jährige vom TuS Rotenhof gibt nicht auf, kämpft gegen den Krebs – und ist nicht unterzukriegen. Traulsen arbeitet an seiner Rückkehr auf den Fußballplatz – und feiert kurz vor der Winterpause ein erstes Drei-Minuten-Comeback.

Pfeiffersches Drüsenfieber die erste Diagnose
Rückblick in den September 2021: Bei dem Defensivakteur wird aufgrund von Grippesymptomen und anhaltender Schlappheit vom HNO-Arzt das Pfeiffersche Drüsenfieber diagnostiziert. „Ich habe dann wieder mit dem Training begonnen, fühlte mich aber trotzdem nicht fit“, sagt Traulsen, der am 30. Oktober 2021 beim BSC Brunsbüttel vorerst sein letztes Spiel bestreitet. Nach 70 Minuten wird er erschöpft ausgewechselt. „Zwei Tage später, am Montag, merkte ich dann, dass die Lymphknoten angeschwollen waren. Ich bin sofort wieder zum HNO-Arzt“, erklärt Traulsen, der in der Folgezeit bis Anfang März 2022 lediglich via Ultraschall kontrolliert wird. Die letzte Untersuchung ergibt eine unnatürliche Größe der Lymphknoten. „Eigentlich bin ich ganz entspannt zu dem Gespräch gefahren, weil ich nie damit gerechnet hatte, Krebs zu haben“, erinnert sich Traulsen. Doch der Knoten muss sofort operativ entfernt werden. Diagnose: Lymphdrüsenkrebs. „Man denkt an alles, nur nicht an Krebs“ Eine Welt bricht für den damals 23-Jährigen zusammen. „In meinem Alter macht man sich über alles andere Gedanken, aber nicht unbedingt über Krebs. Man fühlt sich unverwundbar, vor allem als leistungsorientierter Sportler. Ich bin dann ohne zu denken sofort zu meiner Mutter gefahren. Ich fühlte mich wie in einem Tunnel, der nicht endete“, gibt der Fußballer einen Einblick in sein Innenleben. Für seine Freundin, Freunde, Fußballkollegen, Familie und ihn sei es trotz vieler Gespräche teilweise schwierig gewesen, mit der Situation umzugehen. Prioritäten haben sich geändert Traulsen muss sich im vergangenen Mai einer Chemotherapie unterziehen. „Eine unglaublich harte Zeit für mich“, gesteht er. „Das verändert den Körper, auch mental. Die Momente auf der Onkologie-Station in Rendsburg werden mich mein Leben lang prägen.“ Durch die Krebserkrankung haben sich seine Prioritäten im Leben komplett gewandelt: „Ich habe begonnen, mich nicht mehr über Kleinigkeiten aufzuregen. Man wird nachdenklicher, denn es gibt wichtigere Dinge als eine Niederlage gegen Tellingstedt“, gesteht der angehende Industriekaufmann. Einen großen Dank richtet der bekennende HSV-Fan an seine Mannschaft vom TuS Rotenhof, die ihn tagtäglich unterstützt und aufgebaut hat. „Wenn vier, fünf Spieler deine besten Freunde sind, dann fällt es einem leichter, darüber zu reden. Wir haben hier sowieso eine tolle Kameradschaft und so habe ich gelernt, die Situation schnell mit Humor zu nehmen um positiv in die Zukunft blicken zu können“, sagt Traulsen.

Comeback im Derby gegen Osterrönfeld
Mittlerweile ist er längst zurück auf dem Fußballplatz, kann bis zur Winterpause zumindest wieder regelmäßig am Mannschaftstraining teilnehmen. Sein Comeback feiert er am 4. November im Heimspiel gegen den Osterrönfelder TSV (8:1). In der 87. Minute wird Traulsen für Kapitän Felix Knuth eingewechselt. „Das war der Hammer, vor so einer großen Kulisse im Derby reinzukommen. Als unser Stadionsprecher meinen Namen genannt hat, war es Gänsehaut pur. Die Fans standen auf und applaudierten“, erzählt Traulsen, der mit Ausdauerläufen und Workouts weiter an seiner Rückkehr zur alten Form arbeitet. Am 15. Januar steht die nächste CT-Untersuchung an. Traulsen hofft, dass er danach unbeschwert weiter leben und kicken kann.